Das Wichtigste vorweg. Die Ersten Frauen des FC St. Pauli schlagen die Vertretung des Hamburger SV hochverdient mit 4:1 (2:1) vor ausverkaufter Kulisse in der Feldarena.
Als der Verein gestern meinen Vorbericht weitgehend übernahm, die Überschrift aber mit einem Fragezeichen versah, war ich doch etwas verwundert. Ich muss gestehen, ich hatte die feine Ironie der Presseabteilung nicht begriffen. Ein Duell auf Augenhöhe war es nämlich tatsächlich nicht.
Das wiederum kam nicht überraschend. Die offiziellen Statements des Trainers Kai Czarnowski unterschieden sich erheblich von internen Gesprächen. Das Team war sich denn auch seiner Stärke bewusst und trat als Favorit gegen einen Krisenklub auf.
Greifenberg + Philipp = Führung
Zuallererst ein Kompliment an die Gegnerinnen. Die HSV-Mädels nahmen den Kampf an, waren von der ungewohnten Kulisse nicht eingeschüchtert und wehrten sich, körperlich unterlegen, lange Zeit recht erfolgreich. So war das Spiel bis zur 80. Minute spannend, aber auch unnötig aufregend, da St. Pauli viele Chancen vergab.
Der Anstoß erfolgte pünktlich. Der Beginn war zäh. Erfolgloses Mittelfeldgeplänkel führte selten zu Abschlüssen. Einen nennenswerten ersten Schuss feuerte Lina Kunrath für den HSV nach 24 Minuten über das Tor. Auf der Gegenseite zielte Kathrin Miotke nach einer halben Stunde zu hoch.
Eine Minute später sahen die Fans den ersten sehenswerten Angriff, als Ann-Sophie Greifenberg auf rechts beschleunigte. Ihre Flanke fand am langen Pfosten Torjägerin Nina Philipp, die den Ball nur noch über die Linie drücken musste. Es war der Auftakt zu einem Fest, welches die Feldarena noch nicht gesehen hatte.
Schock kurz vor der Pause
Linda Sellami vergab kurz darauf das fast sicher erscheinende 2:0, um dann in der 40. Minute mit einem Kunstschuss aus 23 Metern nach einem Einwurf doch zu erhöhen. Die Fans, die das Team auf der Siegerstraße sahen, wurden kurz vor der Pause durch Emma Burdorf-Sick ernüchtert, die nach einer Freistoßflanke zum Pausenstand abstaubte.
Für den Autor dieser Zeilen war dies ein Schock, da das Bild des erhofften Derbysiegs ein wenig wackelte. Für das Team nicht. Entschlossen kamen die Spielerinnen aus der neu gebauten Kabine und stürmte auf das Tor des HSV. Um es kurz zu machen: Die Rothosen hatten im zweiten Durchgang keine Torchance mehr, spielten dabei zwei Kontergelegenheiten mangelhaft aus, konnten also nicht mehr zulegen.
Greifenberg - zuvor von Krämpfen geplagt - nahm den Ball an der Strafraumgrenze wunderschön an, um diesen dann formvollendet über HSV-Torfrau Lela-Celin Naward unter die Latte zu heben. Philipp wiederum profitierte von einem schweren Patzer, der nun entnervten Torhüterin.
Kurzer Ärger - Grandiose Feier
Für Ärger sorgten nach beiden Treffern unnötige Aktionen einiger sich zu wichtig nehmender Fans, anders ist nicht zu erklären, dass durch einen Rauchtopf und einen weiteren Leuchtkörper der Derbysieg noch einmal in Gefahr geriet. Wenn sogar Czarnowski wutentbrannt zu den Tätern eilt und diese zurechtweist, sollte auch dem Letzten klar sein, dass da etwas schiefgelaufen ist. Bei einem weiteren Vorfall hätte die Schiedsrichterin die Partie abgebrochen, so der allgemeine Konsens.
Die Meinung sein 'persönliches Recht' auf Pyro durchzusetzen zu müssen und dabei die Gefahr in Kauf zu nehmen, dass sportlich aktiven Amateuren ein historischer Sieg am Grünen Tisch genommen wird, hätte zu einer tiefen Spaltung innerhalb des Vereins beziehungsweise der Fanseite geführt. So war rund um die Trainerbank bis zum Schlusspfiff die größte Sorge, dass irgendjemand dies nicht kapiert haben könnte.
Der Rest war Jubel. Es folgte eine grandiose Feier mit dem Team im Jolly Roger.
Eine Einordnung
Ein paar wenige persönliche Worte:
Nach Greifenbergs wunderschönen Lupfer schossen mir Tränen in die Augen. Als ich begann vor 17 Jahren dem Team zu folgen, hätte niemand an solch ein Ereignis auch nur einen Gedanken verschwendet. Der gestrige Sieg war bedeutend, ja sogar historisch.
Aber wie hoch die Ansprüche sind, machte Czarnowski nach der Partie deutlich. Das Halbfinale war ein Zwischenschritt, ein wichtiger, an den sich alle erinnern werden, und doch nur der Sprung ins Finale. Die Meisterschaft und der Aufstieg in die Regionalliga haben Priorität. Das Pokalfinale am 8. Mai sollte erst einmal in ein Hinterstübchen des Gehirns verschwinden.
Der Trainer hatte mir vor der Partie gesagt: "Wenn der HSV versucht mitzuspielen, wird er eine Klatsche bekommen." So war es dann auch. Doch die Zeitenwende ist noch nicht erreicht. Ohne Aufstieg wäre der Derbysieg nur noch halb so viel wert. Nicht für mich persönlich, denn schöner als gestern kann es kaum noch werden.
Einzelkritiken
Tara Zimmernann: Derbysiegerin
Verena Mannes: Derbysiegerin
Francis Wernecke: Derbysiegerin
Amke Ihben: Derbysiegerin
Sanna Barudi: Derbysiegerin
Lena Kattenberg: Derbysiegerin
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Anso Greifenberg: Derbysiegerin
Nina Philipp: Derbysiegerin
Linda Sellami: Derbysiegerin
Auf der Bank:
Kim Koschmieder: Derbysiegerin
Antje Baumann: Derbysiegerin
Lynn Isken: Derbysiegerin
Lisett Kretzchmann: Derbysiegerin
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Sabine Merz: Derbysiegerin
Kai Czarnowski: Derbysieger
Jörn Steffen: Derbysieger
Wie nah das Team auch im Moment des großen Triumphs an den Fans ist, demonstrierte mir ein Gespräch mit Greifenberg zwei Minuten nach dem Abpfiff.
Nach einer Umarmung stehen sich euphorisierter Fan und Spielerin gegenüber:
"Anso, welch ein schönes Tor!"
"Du hast aber auch einen klasse Vorbericht geschrieben. Viele haben mich gefragt, von wem der auf der Homepage ist."
Ich schaue die Frau des Abends ungläubig an. Bescheidener geht nicht.
Das Finale wird am 5. Mai an der Hoheluft steigen. Die Gegnerinnen werden heute Abend zwischen dem Walddörfer SV (Verbandsliga) und Bergedorf 85 (Regionalliga) ausgespielt.
Mein spezieller Dank für die Fotos dieses Berichts geht an Axel Klatt und Anja Rohde.
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