Endlich auf Augenhöhe

In der 'Feldarena' kommt es heute Abend um 19:30 Uhr zum bisher größten Match der Frauenfußballabteilung des FC St. Pauli. Im Halbfinale des Hamburger Pokals empfängt die Verbandsliga-Elf mit Kapitänin Inga Schlegel den Regionalligisten Hamburger SV. Die Partie ist seit Wochen ausverkauft, die Zuschauerzahl wird in dieser Saison in Hamburg wohl unerreicht bleiben.

 

An die anderthalb Jahrzehnte ist es her, als sich die beiden Klubs letztmals unter freiem Himmel trafen. Damals ging die Erste Frauen im Pokal auf Grand gegen die Rothosen zweistellig unter. Es lagen Welten zwischen den Vereinen. So sollte es noch viele Jahre sein.

 

Was wird das Publikum erwarten? Die ungeschlagenen Tabellenführerinnen der Verbandsliga werden sicherlich sehr selbstbewusst den Platz betreten gegen Gegnerinnen, die eine Liga höher gegen den Abstieg kämpfen. Die Geschichte dieses Spiels spiegelt Hamburger Frauenfußballgeschichte wider und könnte ein historisches Datum markieren.

St. Paulis Frauen haben noch einiges vor in diesem Frühjahr.
St. Paulis Frauen haben noch einiges vor in diesem Frühjahr. (Foto: FC St. Pauli Frauen- und Mädchenfußball)

Ungeschlagener Außenseiter?

Zuerst zum FC St. Pauli: Der damalige Bezirksligist, niedriger ging es nicht, der meist darum kämpfte, eine Saison nicht als Letzter abzuschließen, hat sich zu einem der Topteams der Hansestadt gemausert. Ungeschlagen führt die Elf die Tabelle vor dem Vorjahresmeister Wellingsbüttel an.

 

Sagenhaften 69 erzielten Treffern stehen lediglich sieben Gegentore gegenüber - beides Bestwerte in der Liga. Auswärts ist die Bilanz von Stammtorhüterin Tara Zimmermann sogar unbefleckt. Sowohl die Defensive wie die Offensive präsentieren sich also aufstiegsreif. 2016 kassierte die Elf erst am letzten Spieltag beim 7:1 gegen Wentorf ein erstes Gegentor.

Der Absturz des HSV

Ganz anders lief die Entwicklung beim Gegner. Vor zwölf Jahren standen sich im Endspiel noch die Zweit- und die Drittvertretung des Bundesligisten gegenüber. Insgesamt zehn Mal hieß der Pokalsieger Hamburger SV. 2002 stand der Klub sogar im großen Endspiel in Berlin.

 

Der HSV war unbestritten das Nonplusultra im Hamburger Frauenfußball. Am 21. Mai 2012 folgte der große Schock. Der Vorstand beschloss die Erste Frauen, aus finanziellen Gründen aus der Eliteliga zurückzuziehen. Fortan spielte die beste Hamburger Elf nur noch in der Drittklassigkeit.

 

Dort haben mittlerweile andere Hamburger Klubs den Rothosen den Rang abgelaufen. Bramfeld peilt den Aufstieg in die zweite Liga an. Bergedorf und Aufsteiger Duwo rangieren im Mittelfeld - der HSV aber kämpft gegen den erstmaligen Abstieg in die Viertklassigkeit.

Zu jung für den Klassenerhalt?

Zehn der 16 Ligaspiele gingen verloren. 46 Gegentore sind der Minuswert der Liga und nur der abgeschlagene Tabellenletzte hat weniger Tore als die HSVerinnen geschossen. Noch steht das Team einen Punkt über dem Strich, der den Abstieg bedeutet, doch der direkte Konkurrent Burg Gretesch hat zwei Begegnungen weniger bestritten.

 

Die Elf der Rothosen besteht vor allem aus jüngeren Spielerinnen. Vor allem auswärts macht sich das negativ bemerkbar. Einem dürftigen Punktgewinn stehen 33 Gegentreffer entgegen - fast fünf pro Spiel. Am Ostersonntag verloren die in Norderstedt trainierenden Hamburgerinnen gar mit 1:7 eine Nachholpartie in Celle, das bis dahin selbst noch Abstiegssorgen hatte.

 

Doch die Jugend des Teams ist gleichzeitig auch eine Chance. Denn das Team von Trainer Christian Kroll ist zu Überraschungen fähig. Anfang des Jahres wurde völlig überraschend Bramfeld aus dem Pokal befördert. 

Maximale Ziele

Nun treffen sich die Wege beider Klubs an einem markanten Punkt wieder. Der FC St. Pauli strebt nach oben, der HSV ist auf dem Gegengleis unterwegs. Dem ist sich St. Paulis Trainer Kai Czarnowski bewusst, dennoch sieht er den Gegner in der Favoritenrolle: "Der HSV spielt eine Liga höher, dorthin wollen wir erst noch kommen."

 

Das ist eine Sichtweise, die man teilen kann, aber nicht muss. Der Angriff der Braun-Weißen ist in dieser Saison kaum zu stoppen. Nina Philipp führt die Torschützenliste mit 26 Treffern fast uneinholbar an. Auch Linda Sellami (11) und Ann-Sophie Greifenberg (10) sind unter den Top5 zu finden. Spielerisch hat das Team, das im letzten Jahr im Halbfinale an Bergedorf scheiterte, noch einmal zugelegt. Der Aufbau ist variabler und schneller geworden, Räume werden dadurch geschaffen und auch genutzt.

 

Die Saisonziele wurden im letzten Sommer mit Aufstieg und Pokalsieg bewusst in den Bereich des Maximums gelegt, um Reizpunkte zu setzen. Nach dem Motto: Nur wer Hohes anstrebt, kann auch Hohes erreichen.

Ausverkaufte Feldarena

Czarnowski erwartet einen heißen Kampf. Er hat seinen Spielerinnen in einer Grafik die Entwicklung der letzten fünf Jahre aufgezeigt. "Dass der Fußballgott ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt uns gegeneinander loste, ist kein Zufall. Jahrelang wären wir chancenlos gewesen."

 

"Jetzt steht uns der HSV im Weg, deshalb wollen wir ihn schlagen. Aber das ersetzt nicht unsere Saisonziele!", stellt der Trainer klar. "Die Profis haben nach dem Sieg über den HSV kein Bundesligaspiel mehr gewonnen. Unsere Ziele sind der Aufstieg und der Pokalsieg, nicht der Sieg gegen einen bestimmten Gegner."

 

Das große Match ist seit Wochen ausverkauft. Sogar ein Sicherheitskonzept musste entwickelt werden. Der Umzug in ein Stadion wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Das Team will unbedingt auf gewohntem Terrain den Heimvorteil nutzen, um erstmals das Finale zu erreichen.

 

70 der 450 Eintrittskarten, die alle gratis abgegeben wurden, gingen an den HSV. Fast 400 St. PaulianerInnen werden also die Chance haben, akustisch ihren Teil zu einem historischen Sieg beizutragen. Es wird gemunkelt, dass den jungen HSV-Mädels schon bei der Anreise die Knie vor Erwartung des berüchtigten Roar der Feldarena schlottern werden.